Beweinen müssen!

von Franz Moritz Sturm


Nur ungern schau ich hinein
in den Spiegel in meinem Bad,
denn die Abbildungen meines Gesichtes
erfreuen mich meistens nicht.

Diese Traurigkeit in meinen Augen,
sie ist selbst mir so unendlich tief,
sie stimmt mich tieftraurig,
sie belastet nicht nur mein Gesicht,
der ganze Kerl, er vibriert dann nur noch.

Es bin nicht nur ich, was ich da sehe,
es sind Jahrhunderte alte Frauen,
alle aus meinem ursprünglichen Stamm,
sie weinen und weinen, sie kennen das Lachen nicht.

Sie beweinen nicht nur die natürlichen Toten,
sie werden speziell zum Beweinen geholt,
für die Toten aus den sinnlosen Kriegen,
sie weinen, bis kein Tropfen mehr fällt.

Eingebrannt in ihren so ausgetrockneten Leibern,
ist ihr Klagen, ihr Tun, tief in ihren Genen verwurzelt,
Generation um Generation, besonders der Frauen.
Wieder und wieder kommt es zum Ausbruch.

Weitergegeben von der Urgroßmutter, über die Oma,
die Mama, an mich und auch meine Tochter.
Wir sind halt, so der Volksmund, „nah am Wasser gebaut“.
Der geringste Anlass lässt uns krieschen(kölsch)/weinen/schreien.

Drum sind die Spiegel in meiner Wohnung fast alle verbannt.
Sie zeigen mir zu sehr das Leben aus meiner Herkunft
und haben nach vorne bereits kein besseres Bild.

Die Gründe für mein Weinen sind für mich überall.
Gerne wäre ich ein Luftkuss und spränge ungezwungen umher.
Ein einziger Spiegelblick des Morgens
führt mich sofort in meinen verweinten Alltag zurück.

Der Spiegel ist´s, der täglich meinen Gesichtsausdruck prägt,
er bestimmt meine problematischen Konturen.
Er beeinflusst meine Stimmungslage, mein Profil,
ich weiß, dass ich das nicht will, denn es wird mir oft zu viel.

Trotz allem gibt es die Liebe, sie ist die größere Macht,
sie hebt von Zeit zu Zeit die alten Schatten auf,
lässt das Strahlen deines Gesichts sich auf meinem spiegeln.
verändert es ganz einfach mit einem Lächeln, im Nu.


© Franz Moritz Sturm
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