Brückenzyklus

von Liza Katáeva


„Wir haben natürlich überlegt, wie wir an die Öffentlichkeit treten könnten. Eines Abends sprachen wir auf dem Nachhauseweg wieder davon. Schmidt-Rottluff sagte, wir könnten das Brücke nennen – das sei ein vielschichtiges Wort, würde kein Programm bedeuten, aber gewissermaßen von einem Ufer zum anderen führen. Wovon wir weg mussten, war uns klar. Wohin wir kommen würden, stand allerdings weniger fest.“
     – Erich Heckel, 1958


Fritz Bleyl

Alles auf der Welt besteht aus Blei.
Das Geschichtsregal der Bücherei –
jedes Brett beschwert sich und verneigt sich.
Schwer ist jede Letter im „verzeih“.

Kenne keine Weltgesetze, einzig:
Alles auf der Welt besteht aus Blei.
Doch auch dieses kennt sich schwerelos,
tropfenklein, erahnbar, leinwandgroß …

Eingeritzte Grenzen überfließen
und verzaubern durch den Formverstoß.
Blei kann fliegen. Blei kann sich ergießen,

wie der Morgentau aufs grüne Moos,
wie der Wellen Ströme um mein Floß,
das mir einst die Künstler überließen.


Ernst Ludwig Kirchner

Von spitzen Kirchen hagelt es Geläut.
Es ist ihm ernst! Die Welt zerbrach in Stücke.
Er ist der letzte Weg. Er ist die Brücke.
Er hat den Geist im Farbenwahn verstreut.

Er lud gezackte Pfeile ins Gestirn
und wich nicht aus, als sie hinunterschossen,
bis jedem seiner blinden Zeitgenossen
ein neues Auge wuchs aus ihrer Stirn.


Otto Müller

Eine Frau, der die Welt gehört,
braucht keine Ottomane,
braucht keine Bonbonniere,
braucht keine Juweliere.

Dinge, die sie sich wünscht,
hat sie und das Urbane
scheut sie; und libertäre
Weiten sind längt schon ihre.

Alles andre – erlesener Müll,
er
gehört nicht ins Land der Wilden,
er gehört nicht ins Reich der Nackten,
er gehört nicht auf goldne Inseln.

Noch ein Wunschbild des weißen Manns,
aus dem Künstler Legenden bilden –
in Ländern mit abgewrackten
Wäldern und bunten Pinseln.


Karl Schmidt-Rottluff

Die Welt war kahl. Die Nacht war leer und raumlos,
bevor er kam und ihnen Anstrich gab.
Da blühte aus dem Nichts ein Jakobsstab,
als wär des Farbschmieds Pinselstrich ein Anstoß,

die totgeglaubten Dinge zu erwecken:
die grüne Morgenluft, das rote Gras,
das gelbe Boot, das seinen Dienst vergaß
im heißen Glanz vernähter Farbendecken.


Emil Nolde

Jener nur, wem Illusion sich eröffnet und zahm unterwirft,
fängt die geschwungenen Klänge der treibenden Grundfarben ein,
atmet die Sonne und zeichnet die durstigen Samtblumen nieder,
fließt mit Gewässern an grünlichen Ufern und Buchten vorbei.

Jener nur, dessen befreite Verwegenheit zittert und schwingt,
fällt auf die flüsternden Felder als Spätsommerregen und riecht
rostgelbe Wolken inmitten der eigenen endlosen Seele,
altert zu blutrotem Rauch überm goldenen, gähnenden Meer.


Max Pechstein

Der Inbegriff der Echtheit – reiner Raum!
Vorzügliche, erfrischende Maxime!
Schau näher hin, dann siehst du, dass ich mime.
Das Paradies ist nur ein übler Traum.

Denn jeder rote Fels ist nur ein Stein
und jedes braune Weib ein Wunschbildmärchen.
Der Künstler träumt vom Strand und fernen Mädchen,
zu Pech verbrennend, ohne Wald zu sein.


Erich Heckel

Hast du heut Morgen gesehen, wie
der fallende Mond verstaubte?
Er schwand wie der Schein einer Melodie,
an deren Bestand ich glaubte.

Und dann – wie im Märchen – erschien ein Licht,
goss die Hecken mit rotem Safte …
Nein, ich schätze, das sahst du nicht,
denn du glaubst nicht ans Zauberhafte.


© Liza Katáeva
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